Beagle von der Theresienhöhe

- to be different makes the difference -


Dominanz ?!

Zitat von Sophie Strodtbeck:

"Es ist unglaublich, wie sich die Mythen rund um die Dominanz des Hundes halten... Kein Hund sucht sich freiwillig eine dominante Position, weil die immer mit Stress verbunden ist.
Und wenn man Beziehungsprobleme hat, wird sich nichts ändern, nur wenn man vor dem Hund Kekse isst, vor ihm durch die Türe läuft, oder sich in seinen Korb setzt. Da sollte man wohl eher seine eigene Haltung überdenken..."


Kein Häuptling ohne Indianer - oder:

Dominanz fängt unten an

Die gängigen Theorien zu den Themen Dominanz und Rangordnung stammen zumeist von ­Studien bei Affen, und wurden – wie wir jetzt wissen, fälschlicherweise – auf Mensch-Hund- und auch auf Hund-Hund-Beziehungen übertragen. Daraus haben Hundetrainer und -halter dann auch ihre naturgemäß ebenfalls falschen Schlüsse, Empfehlungen und Trainingsansätze abgeleitet, was sicherlich oftmals zu einer weiteren Verschärfung der Probleme geführt hat. Tatsächlich aber ist beim Hund mal wieder alles anders, denn Hunde sind anders – zum Glück! Wer bisher geglaubt hat, sein Hund ist gerade dabei, ihm den Rang abzulaufen und die Weltherrschaft zu übernehmen, weil er es sich auf der Couch bequem macht oder gar frisst, bevor der Halter sich den Bauch vollgeschlagen hat, kann sich jetzt beruhigt neben seinem Vierbeiner auf der Couch zurück lehnen. Im ­Folgenden versuchen wir mit alten Zöpfen und falschen Ansichten zum Thema Dominanz aufzuräumen und ­dieses Thema wissenschaftlich fundiert und auf den Caniden bezogen zu beleuchten.

Es vergeht kaum ein Gespräch zwischen zwei oder ­mehreren Hundemenschen, bei dem nicht mindestens einem der an- oder ab­wesenden Hunde unterstellt wird, er sei „dominant“. Ganz ­abgesehen davon, dass sich zunächst die ­Frage stellt, woran die Beteiligten das er­­kennen, wird auch nicht dazu gesagt, ob sich die Dominanz auf Menschen, Hunde oder evtl. auf ganz andere Lebewesen bezieht. Der Dominanz­begriff wird also sehr häufig heran­gezogen, um das Verhalten eines Hundes zu erklären oder zu entschuldigen. Häufig hat man den Eindruck, dass die Halter/innen der betreffenden Hunde es gar nicht so ungern sehen, denn schließlich ist ein dominanter Hund ja auch ein ganzer Kerl. Und den will man ja dann doch haben. Außerdem wird mit diesem Argument, der Hund „sei halt dominant“, nicht selten die eigene Erziehungsunfähigkeit kaschiert. Denn wenn der Hund dominant ist, dann kann man sowieso nichts dagegen tun.

Meine vier Saufratzen sind übrigens auch sehr dominante Exemplare: sie liegen auf der Couch (zum Beispiel gerade im Moment), fressen, wenn ich ihnen den Napf hinstelle, und nicht erst, wenn ich meine Mahlzeit be­endet habe, und sie gehen sogar manchmal vor mir durch die Türe, die Bösen … Was aber ist Dominanz ­wirklich?

Was ist Dominanz?

Wo kommt sie her und was versteht man in der Verhaltensbiologie unter diesem Begriff? Die überwiegende Mehrzahl der verhaltensbiologischen Fachartikel ist sich darüber einig, dass Dominanz keine Eigenschaft ist. Es handelt sich vielmehr bei der Dominanz um eine Beziehung, also um ein komplexes Zusammenspiel des Verhaltens von mindestens zwei be­teiligten Lebewesen. Eine Dominanz­beziehung liegt dann vor, wenn einer der beiden ­Beteiligten regelmäßig und vorhersagbar ­seine Interessen gegen den anderen durchsetzen kann, ohne dafür direkt körper­liche Gewalt anwenden zu müssen. Die Dominanzbeziehung wird also durch die Anerkennung ­seitens des Dominierten, Rangtieferen be­stätigt und gefestigt. Der Rang­höhere kann zwar entscheiden, wann er die Privilegien einfordern und seine Dominanzansprüche durchsetzen möchte, er kann aber auch darauf verzichten, wie wir später noch sehen werden. Aber der Rangtiefere ist trotzdem derjenige, der die Ansprüche anerkennen muss und durch sein Verhalten die Dominanzbeziehung dann erst möglich macht. Ohne anerkennende Indianer also kein Häuptling.
 
Wie jede soziale Beziehung wird auch eine Dominanzbeziehung durch eine langwierige Aufsummierung von Verhaltensweisen über Raum und Zeit zwischen den beteiligten Tieren festgestellt. Dominanzbeziehungen sind bei den meisten Tierarten auch histo­risch und individuell, was be­deutet, dass es nur nach einer entsprechenden gemeinsamen Vorgeschichte und Vorerfahrung der beiden zu einer Dominanzbeziehung kommen kann. Und letztendlich sind Dominanz­beziehungen auch abhängig von einer ganzen Reihe von Randfaktoren. Die Summe aller Dominanzbeziehungen einer Gruppe kann (muss aber nicht) eine Rangordnung ergeben.

Rangordnung

Von Rangordnung spricht man dann, wenn fast alle Tiere der Gruppe unter oder über den jeweils nächsten in Form einer klaren Reihung angeordnet werden können. Also A dominiert über B, B dominiert über C, C dominiert über D usw. Dann spricht man von einer linearen Rangordnung. Kreise und Zirkelschlüsse, also A dominiert B, B dominiert C, C dominiert über D, und D dominiert über B usw. sind ebenfalls möglich.

Jedoch gibt es auch andere Sozialsysteme, etwa despotische Systeme, bei denen einer über alle anderen dominiert, oder Systeme, wie etwa in der militärischen Hierarchie, bei der nur die Dienstgrade übereinander dominieren, die Mannschaften oder Angehörige des gleichen Dienstgrades jedoch auf gleicher Stufe zueinander stehen. Um eine Rangordnung zu bestimmen und die Dominanz­position der einzelnen Mitglieder dieser ­Gruppe zu errechnen, bedarf es neben der längeren Beobachtung meistens einiger komplizierterer Formeln. Die meisten dieser Berechnungsver­fahren aber haben eines gemeinsam: Sie setzen die Zahl der begonnenen, die Zahl der gewonnenen und derjenigen Auseinandersetzungen, in die das Tier überhaupt verwickelt war, zueinander in Bezug. Und bei nahezu allen dieser Berechnungsverfahren kommt am Ende derjenige als Chef heraus, der nie eine Auseinandersetzung beginnt, aber jede gewinnt, in die er von jemandem anderen verwickelt wurde.

Und genau hier liegt die zweite Fehleinschätzung der oben genannten „dominanten“ Hunde. Häufig handelt es sich nämlich um kleine Stänkerer. Im günstigsten Falle könnten sie rechnerisch etwa auf der mittleren Rangposition landen, wenn sie tatsächlich viele der von ihnen selbst vom Zaun gebrochenen Auseinandersetzungen auch gewinnen. Viel häufiger jedoch würden sie diese Auseinandersetzung verlieren, wenn sie nicht von ihrem Halter gerettet oder anderweitig aus der Situation heraus geführt würden, und dann wären sie auf der Rang­ordnung ganz unten.

Dominanz ist nicht Aggression

Dominanz hat auch nichts mit Aggression zu tun. Das vorhin genannte Beispiel zeigt das Gegenteil: Wer wirklich dominant über andere ist, kann ohne jegliche Aggression seine Interessen durchsetzen, der hat Gewalt nämlich nicht nötig. Wer aggressiv werden muss und womöglich sogar unritua­lisiert aggressiv mit körperlicher Gewalt agieren muss, ist eben nicht unangefochten dominant. Dominant dagegen wäre ein Hund, der es gar nicht nötig hat, aggressiv zu agieren. „Er kam, sah und kriegte (was auch immer er will)“ – das ist die Charakteristik eines wirklich ranghohen Tieres, das über viele andere dominiert.

Dominanz und Ressourcen

Apropos „er kriegte“: Gerade der Zugang zum Futter und anderen lebenswichtigen Nahrungsressourcen ist bei Hundeartigen nachgewiesener­maßen nicht an die Rangposition gekoppelt. Eine Vielzahl von Studien an Wölfen, verwilderten Haushunden und auch von in Familien lebenden Hunden zeigt immer wieder, dass beim Futter eine ganz andere Beziehung gilt: Wer am lautesten und glaubwürdigsten schreit „ich habe Hunger“ (im Zweifelsfall der ­Beagle!), der bekommt dann auch zuerst das Futter. Mit diesem sogenannten mo­tivations-/bedarfsabhängigen System ist es einem Wolfsrudel, einer Gruppe von Döner fressenden Müllkippenhunden oder auch einem Rudel afrikanischer Wildhunde jederzeit möglich, schnell und ohne große Diskussion über Rangpositionen eine vorhandene Nahrungsquelle zu nutzen. Und zwar so schnell, dass die Konkurrenz, sei es die aus dem Nachbarrevier oder auch aus einer größeren und stärkeren Art entstammend, keine Chancen hat.

Gerade deswegen ist es auch ein weit verbreitetes, immer wieder gern zitiertes und oftmals fehlinterpretiertes Missverständnis, wenn man Hundehaltern beispielsweise erzählt: „Bevor du deinen Hund fütterst, musst du unbedingt erst selber einen Keks essen, sonst wird der dominant“. Oder: „Du darfst deinem Hund nie von dem abgeben, was du selbst gerade isst. Sonst wird deine Rangposition in Frage gestellt“. Diese und andere Aussagen beruhen auf einem Verständnis von Dominanzpositionen, wie es für unsere äffische Verwandtschaft üblich ist. Dort darf sich in der Regel der Ranghohe jederzeit am Futter des Rangtieferen bedienen. Puuh, ich darf also meine Meute weiterhin dann füttern, wenn es mir in den Kram passt, und muss nicht darauf warten, dass ich fertig gegessen habe …

Bei Hundeartigen, deren Rudel- und Familienstrukturen vielmehr auf Kooperation bei der Nahrungssuche und beim Nahrungserwerb angelegt sind, wäre eine solche Vorgehens­weise auch wenig produktiv. Ein ranghoher Wolf, der sich zwar selbst am toten Hirsch den Bauch vollgeschlagen hat, jedoch nur ein Rudel hungriger und dementsprechend geschwächter Mitstreiter hinter sich wüsste, könnte weder gegen das stärkere Nachbar­rudel, noch gegen den Tiger, den Braunbären oder andere überlegene Konkurrenzarten bestehen.

Auch die meisten erfahrenen Hunde­trainer bestätigen, dass es kaum ­Hunde gibt, die wirklich die Absicht haben, über den Menschen zu dominieren. Die Einschätzungen schwanken hier zwischen 0 und 5 % aller ihnen bekannten Hunde.

Situative und formale Dominanz

Die Probleme im Umgang zwischen Hund und Mensch bestehen nicht aus dem Rangordnungsbestreben des Hundes. Sie entstehen aus zwei ganz anderen Situationen, die wir uns im Folgenden genauer anschauen ­wollen: Zum einen aus der sogenannten situativen Dominanz, zum anderen aus der Verwechslung zwischen Dominanz und Anführerschaft. Beide Konzepte werden nicht nur bei Affen und anderen Säugetierarten, ­sondern eben auch bei Hunden, Wölfen und ihren Verwandten zunehmend in der wissenschaftlichen Diskussion ­verwendet.

Auch wenn es sehr kompliziert und wissenschaftlich klingt, die Unterscheidung zwischen der sogenannten formalen und der situativen Dominanz ist für den Hundehalter durchaus wichtig. Die Begriffsunterscheidung geht ursprünglich auf eine sehr erfolgreiche und renommierte Arbeitsgruppe holländischer Verhaltensbiologen zurück, die an der Universität Utrecht geforscht haben. Das Konzept der formalen und situativen Dominanz wurde zunächst von dem Primatenforscher Frans de Waal aufgestellt. Nach einer Reihe von Studien an Affen und Menschenaffen hat ein anderer holländischer Mitarbeiter der Arbeitsgruppe, Joep Wensink, dieses Konzept auf das Wolfsrudel des Zoos in Anheim übertragen. Die wichtigsten Aussagen seiner Studie waren, dass nur wenige Körperhaltungen über Jahre und Monate hinweg die langzeitstabile Rangordnung widerspiegeln. Der in dieser Langzeit-Rangordnung Dominante zeigt eine aufrechte Körperhaltung mit gestreckten Gelenken und einer eher erhobenen Kopf- und Schwanzhaltung. Der Unterlegene in der Langzeit-Dominanzbeziehung zeigt die sogenannte „Low-Posture“ mit eher eingeknickten Gelenken, gesenktem Kopf und hängendem Schwanz. Alle anderen, auch die als typische Dominanz anzeigend beschriebenen Verhaltensweisen von Kopf-Auflegen, Scheinattacken, über Pfoten-Auflegen bis zum Schnauzenbiss sind eher der sogenannten situativen Kurzzeitdominanz zuzuordnen. Und genau um diese Verhaltensweisen geht es hauptsächlich.

Denn die situative Dominanz ist nicht gekoppelt an die Langzeitrangordnung, sondern teilt dem Gegenüber lediglich mit, dass man sich in der jetzigen momentanen Situation gerne mit irgendetwas durchsetzen ­möchte. Das kann der Zugang zum Futter oder zu einem Ruheplatz oder auch ein Abbruchsignal sein, nach dem Motto „Hör auf, du nervst“, oder auch schlichtweg eine Vergrößerung der Individualdistanz, die man ge­rade gerne hätte. All diese Situationen sind nicht nur vom Ranghöheren zum Rangtieferen zu beobachten. Die Verhaltensweisen der situativen Dominanz werden durchaus auch häufiger vom Rangtieferen der Langzeitrangordnung ausgehend nach oben gezeigt und vom Ranghöheren auch beachtet.

Und genau hier liegt der wichtigste Punkt für das Verständnis unseres Haushundes. Wenn uns unser Hund mit einem Verhalten der situativen Dominanz mitteilt, dass ihm irgend­etwas, was wir gerade tun, nicht gefällt, haben wir trotzdem keinen Anlass daran zu zweifeln, dass er uns nicht trotzdem als Chef anerkennt. Insbesondere die sogenannten Abbruchsignale sind hier besonders hervorzuheben.

Abbruchsignale

Abbruchsignale sind Verhaltens­weisen, die immer dann situativ eingesetzt werden, wenn ein Hund oder Wolf möchte, dass ein ­anderer mit irgendetwas aufhört, was er gerade tut. Dazu gehören Fixieren, Naserümpfen, Knurren, ggf. auch Scheinattacken oder Kopf-Vorstoßen oder -Auflegen, bis hin eben zu Anrempeln oder Pfote-Auflegen. In mehreren Untersuchungen von Diplomandinnen verschiedener deutscher Universitäten wurde gezeigt, dass diese Abbruchsignale sowohl bei Wölfen, wie auch bei Hunden, sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben gezeigt und befolgt werden können. Bemerkenswert ist hierbei, dass in einer Studie von Marie Fängler (Universität Bonn) der von Hundehaltern so oft angewendete und missbrauchte Schnauzengriff so selten unter den Hunden und Wölfen vorkam, dass sie ihn statistisch gar nicht auswerten konnte.

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus diesen Studien über die Anwendung situativer Dominanz und von Abbruchsignalen ist die, dass ­Hunde und Wölfe, die in dieser Weise ­einander gestoppt und unterbunden haben, keineswegs hinterher be­leidigt oder sauer sind. In den meisten ­Fällen lässt sich sogar ein Weiterspielen und Weitermachen nahezu ohne Unterbrechung beobachten, bzw. man rückt wieder mindestens genau so nah zusammen wie vorher. Auch stressanzeigende Verhaltensweisen nach einer solchen Stoppaktion sind kaum zu beobachten. Hier muss man also als Mensch nicht die Angst haben, das Vertrauen des Hundes aufs Spiel zu setzen, wenn man Abbruchsignale anwendet – solange sie der Situation angemessen und klar kommuniziert sind!

Dominanzbeziehungen, insbesondere die Beziehungen der formalen Langzeitdominanz, sind auch nur nach einer längeren Entwicklung zu beobachten. Wird ein neuer Hund oder ein neuer Wolf in eine Gruppe eingebracht bzw. verliert die Gruppe eines ihrer ranghöheren Mitglieder, so dauert es Monate, bis sich die ­formale Dominanz wieder eingespielt hat. In den ersten Wochen und Monaten werden Konflikte und Auseinandersetzungen dann überwiegend oder ausschließlich mit den Methoden der situativen Kurzzeitdominanz geregelt. Dies bedeutet nicht, dass die Gruppe dann instabil wäre, es bedeutet lediglich, dass die Tiere noch nicht so genau wissen, wie sie sich aufeinander einstellen können.

Auch das muss der Hundehalter wissen, wenn er beispielsweise einen Hund neu übernimmt und sich mit ihm zum ersten Mal länger beschäftigt. Bis der Hund die formale Langzeitdominanz des Menschen anerkennt und auch zu schätzen weiß, dauert es eben eine gewisse Zeit. Und in der Zwischenzeit kommen bisweilen auch Anfragen von unten nach oben, die der Mensch als Aufmüpfigkeit auffassen könnte, die in Wirklichkeit aber nichts anderes sind als eine Verunsicherung des Hundes über die zukünftig herrschenden Struktur­bedingungen.

Ohne Fleiß kein Preis

Ganz wichtig ist es auch zu betonen, dass eine Dominanzbeziehung den Rangtieferen sehr viel kostet. Er oder sie verzichtet auf eine Reihe von angenehmen Privilegien bzw. gesteht diese kampf- und aggressionslos dem anderen zu. Dafür muss er eine Gegenleistung erhalten. Diese Gegenleistung besteht im Rudel darin, dass man den Schutz der Gruppe wahrnehmen kann. In der Mensch-Hund- Beziehung ist es daher Aufgabe des Menschen, dass es für den Hund Vorteile bringt, diese Dominanzbeziehung anzuerkennen.

Führungskompetenz

Chef-Sein bedeutet also zunächst Verpflichtungen. Man muss sich für seine Mitarbeiter und Untergebenen einsetzen und sich um sie kümmern. Und hier kommen wir zum zweiten elementaren Missverständnis der hundlichen und hund-menschlichen Dominanzbeziehung. Dominanz, insbesondere bei Hundeartigen, ist nicht nur, den Führanspruch durchzusetzen, sondern bedarf immer auch einer glaubhaften Führungskompetenz. Der Dominante muss seine Aufgaben wahrnehmen! Dazu gehören Gefahrenerkennung, Gefahrenvermeidung, die Fähigkeit, den Alltag zu strukturieren, und die Fähigkeit, viele andere, lebens- und überlebenswichtige Regelungen für die Gruppe und insbesondere für die Rangtieferen zu übernehmen. Es geht nicht darum, den Hund zu entmündigen, es geht darum, ihm durch eine klare, souveräne Vorbildfunktion zu zeigen, dass man weiß, was man tut – und warum man das tut. Die Langzeitanführerschaft als Beziehung ist also durch Führungskompetenz gekennzeichnet und der Anführende muss sie sich erarbeiten und durch Vertrauen fördern.

Kurzzeitige situative Anführerschaft dagegen ist eine Rolle. Diese kann auch von einem Hund oder einem anderen rangtieferen Mitglied der Gruppe ausgeübt werden, wenn er bspw. bestimmte Dinge besonders gut kann. Kaum jemand würde vom Rettungshundeführer erwarten, dass er selbst vor dem Rettungshund ins Trümmerfeld steigt, nur weil er dominant sein will. Selbstverständlich übernimmt hier der Hund kraft seiner besseren Nase und seiner größeren Geländegängigkeit auf vier Beinen die Anführerschaft. Trotzdem hat er nicht die Anführerbeziehung, sondern nur die Rolle des situativen Anführers übernommen.

Vielfach wird, wiederum aus einem Fehlverständnis unserer äffischen Verwandtschaft heraus, auch ver­mutet, dass ein rangtiefes Tier automatisch mehr Stress und mehr Be­lastung in der Gruppe erleben würde. Auch hier sind jedoch die Ergebnisse bei Wölfen, afrikanischen Wildhunden und auch ansatzweise bei anderen Hundeartigen ganz anders als in unserer näheren Verwandtschaft. Zumindest elf Monate im Jahr zeigen die ranghohen Wölfe und ­Wildhunde in einem Rudel deutlich höhere Stresshormonwerte, insbesondere des Stresshormons Cortisol. Nur um den Zeitpunkt der Paarung herum steigt auch bei den Rangtieferen der Stress. Das bedeutet wiederum, dass ein Hund kaum freiwillig das Bestreben haben dürfte, sich in eine stressbe­haftete ranghohe Position zu be­geben, wenn er genauso gut ein stressfreies Leben führen kann.

Vielfach sind Hunde dadurch gestresst, dass ihre Halter/innen eben keine souveränen Führungspersönlichkeiten sind, und dass der Hund dadurch dem Menschen nicht zutraut, den Alltag für beide vernünftig zu regeln, und dann mehr oder weniger zwangsläufig selbst die Regelung verschiedener Probleme in die eigenen Pfoten nimmt. Beobachtungen an Mensch-Hund-Teams, denen Trainer/innen diese Zusammenhänge klar gemacht haben und bei denen der Mensch dann nach einem ent­sprechenden Training die Führungsaufgabe wahrnimmt, zeigen deutlich ein zurückgehendes Maß an stress­bedingten Verhaltensweisen beim Hund.

Fazit

Was ist also das Fazit für den Hunde­halter? Zunächst einmal, dass man sehr vorsichtig sein sollte, wenn einem jemand einreden möchte, der eigene Hund sei dominant. Man sollte zunächst einmal den Hund genau anschauen. Die wenigen, die wirklich eine formale Langzeit­dominanz gegenüber dem Menschen ausstrahlen möchten, lassen sich durch eine entsprechend aufrechte bis provokante Körperhaltung erkennen. Die meisten dagegen werden mit vielen ­Varianten der situativen Dominanzgesten zeigen, dass sie nur gerade keine Lust haben, sich mit dem nackten Bauch in den Schneematsch zu werfen, nur weil irgendjemand auf Distanz „Platz“ brüllt.

Konfliktmanagement, zunächst durch Abbruchsignale und Verhaltens­weisen, die dem Hund einen situativen Dominanzanspruch des Menschen mit­teilen, ist für ein Mensch-Hund-Team keineswegs störend. Jedoch muss, und auch das zeigen die Beobach­tungen an Hunden und ­Wölfen, danach ein Versöhnungs­signal ge­sendet werden, durch das der Rangtiefere erfährt, dass er insgesamt ein sehr willkommenes Mitglied dieser Gruppe ist.

Besonders problematisch ist es, wenn man mit falschen und zu gewalt­bereiten oder rigorosen Dominanzkonzepten in der Pubertät eines Hundes agiert. Wer in dieser Zeit mit dem berüchtigten Alpha-Wurf oder anderen körperlich gewaltsamen Methoden den Hund zu disziplinieren versucht, zeigt genau das Gegenteil: Die Dominanzbeziehung ist nicht gefestigt und wird nicht anerkannt, man muss Gewalt anwenden. Gerade pubertierende Hunde ziehen daraus sehr schnell die Schlussfolgerung, dass sie selbst die Verbesserung ihrer Position in die Pfote nehmen müssen, oder dass ihr Verbleiben in der Gruppe nicht mehr erwünscht ist – aber im Gegensatz zu jungen Wölfen und Wildhunden haben Familienhunde meist nicht die Möglichkeit, ihre Köfferchen zu packen und abzuwandern …

Es gibt ihn also nicht, den dominanten Hund. Es gibt bestenfalls einige ­wenige Hunde mit einem aus­ge­prägten Dominanzbestreben, und es gibt aber sehr viele Hundehalter/innen, die dem Hund nicht die notwendige Vorbild- und Leitfunktion bieten, damit dieser ihre formale Dominanz problemlos anerkennen kann. Und es gibt ­Konflikte, die mit den Signalen der situativen Dominanz ausgetragen werden. Und diese Konflikte muss der Mensch annehmen und für den Hund klar erkennbar regeln. Durch ­Igno­rieren wird es ­nämlich in den ­seltensten ­Fällen ­besser!