Beagle von der Theresienhöhe

- to be different makes the difference -


Überschrift


Das Jagd- bzw. Beutefangverhalten des Hundes wird häufig mit Aggression in Zusammenhang gebracht oder gar ­miteinander verwechselt und daraus – bspw. bei Beißunfällen oder in Wesenstests – die Gefährlichkeit eines Hundes bestimmt. Doch haben Beutefang und Aggression nichts miteinander zu tun, entstammen sie doch zwei verschiedenen Funktionskreisen, wie ­WUFF-Autorin Sophie Strodtbeck und Dr. Udo Gansloßer erklären. ­Demgemäß sind auch die Auslöser unterschiedlich, genauso wie die ­ablaufenden Verhaltensketten und Problemlösungen


Das Thema Jagdverhalten ist für viele Hundehalter ein permanentes Problem. Nicht nur der Hund, der die Nachbarskatze oder den vorbeikommenden Hasen jagt, auch eine Reihe anderer Verhaltens­probleme des Hundes entstehen ursprünglich aus dem Funktionskreis des Jagd- und Beutefangverhaltens. Dazu gehört der permanent hinter dem Ball her rennende Junkie genauso wie der Border Collie, der immer ­wieder Familienmitgliedern in die Hacken kneift, wenn sie sich von der Gruppe entfernen.

Die Einteilung des hundlichen Ver­haltens in verschiedene Funktions­kreise folgt den allgemein in der Verhaltensbiologie üblichen Prinzipien. Der Funktionskreis Jagdverhalten ist dabei, genau wie bei anderen Beute­greifern auch, völlig getrennt von dem der innerartlichen oder auch ­zwischenartlichen Aggression.

Verwechslung von Beutegreifverhalten und Aggression

Gerade die Verwechslung von Aggression, Gefährlichkeit und Jagdverhalten ist es aber, die viele Hundehalter heute in Hundehaltungsverordnungen und anderen behördlichen Regelwerken verzweifeln lässt. Vielen Genehmigungsbehörden ist schlichtweg nicht klar, dass Aggression mit Beutefang nichts zu tun hat. Ein Hund, der ansatzlos und ohne vorherige aggressive Kommunikation aus der Deckung schießt, einen anderen ­Artgenossen oder ein anderes Tier packt und seitlich schüttelt, zeigt mit höchster Wahrscheinlichkeit Verhalten aus dem Funktionskreis des Jagd- und Beutefangverhaltens und keineswegs Aggression. Er wird auch in etwaigen Verhaltensüberprüfungen auf aggressionsauslösende Situationen überhaupt nicht reagieren. Möglicherweise aber wird er beim vor ihm herum tollenden Kleinkind mit Ball genauso reagieren wie vorher auf den plötzlich vorbeischießenden Artgenossen.

Kastration als Antijagdtherapie?

Die Verwechslung geht noch weiter. Immer wieder wird den Hundehaltern empfohlen, einen jagdlich motivierten Hund kastrieren zu lassen, da ihn dies bekanntermaßen ruhiger mache und damit auch gleichzeitig das Jagdverhalten dämpfe. So jedenfalls eine weit verbreitete Meinung. Pech ist nur, dass Hund davon noch nichts gehört hat. Denn sowohl die Erfahrungen vieler Halter und Trainer wie auch die Befundlage an anderen, nahe verwandten Säugetieren sprechen eine andere Sprache. Erfahrungen, gerade jetzt vermehrt durch den Einsatz des Kastrationsimplantats, zeigen, dass Hunde nach der Kastration beziehungsweise nach dem Wegfall der Sexualhormone oftmals wesentlich mehr am Jagd- und Beutefang­verhalten interessiert sind als vorher. Bei Hauskatzen gibt es dazu auch systematische Untersuchungen, wonach die Sexualhormone in der Regel das Beutefangverhalten eher dämpfen und der Wegfall der ­Sexualhormone das Beutefangverhalten steigert. ­Kastration als Antijagdtherapie ist daher absolut nicht empfehlenswert.

Bereits im Entstehungszentrum des Jagdverhaltens bewegen wir uns im Gehirn in ganz anderen Regionen als bei der Entstehung von Aggression (siehe Kasten auf Seite 14). Auffallend ist, dass das emotionale Zentrum (limbisches System), das mit der Entstehung von Angst, Wut, Furcht und anderen Gefühlsempfindungen zu tun hat, aus dem Schaltkreis des Beutefangverhaltens völlig ausgegliedert ist. D.h. ein jagender Hund ist weder wütend oder aggressiv, noch muss er die Stresshormone zur Steuerung ­dieses Verhaltens einsetzen.

Auslösende Situationen für Jagdverhalten

Auch die auslösenden Reize und die dann ergriffenen Verhaltensmaß­nahmen des Hundes sind bei Aggression völlig andere als bei Jagdver­halten. Der auslösende Reiz für das Jagdverhalten ist meist – zumindest wenn der Hund auf Sicht jagt – ein schnell bewegter kleiner Gegenstand beziehungsweise ein sich schnell bewegendes kleines Tier.

Sobald dieser auslösende Reiz vorliegt, wird in einer für das Jagdverhalten typischen „Alles oder Nichts-Reaktion" eine Verfolgung gestartet. Während beim Aggressionsverhalten abgestufte, langsam eskalierende und sich aufschaukelnde Erregungen notwendig sind, um schließlich das Endstadium des Beschädigungs­beißens zu erreichen, ist das Ziel des Jagdverhaltens immer auf das Ergreifen der Beute ausgerichtet. Auch Hunde, denen es „nur" auf das Hinterherhetzen ankommt, tun dies mit ­voller Geschwindigkeit und von Anfang an mit voller Intensität.

Kommt es schließlich zu einer Beteiligung von emotionalen Systemen, so ist dies eine sekundäre Folge der lang­anhaltenden, rhythmischen Bewegungsaktivität. Dann können sehr wohl die Selbstbelohnungssysteme von Dopamin und Endorphinen, also die hirneigenen Belohnungsdrogen, ins Geschehen eingreifen. Dann empfindet der Hund aber geradezu das Gegenteil von aggressiver Stimmung. Vielmehr kommt es dann zu einem Rausch der Gefühle, der vielfach auch vom Hund selbst nicht mehr kontrollierbar erscheint.

Verhaltenskette

Betrachtet man den Ablauf der Beutefanghandlung eines Beute greifenden Säugetiers, einerlei ob Katze, Hund oder anderes Raubsäugetier, so kann man im Wesentlichen immer dieselbe Abfolge von aufeinander folgenden Stadien erkennen: Zunächst kommt das sogenannte ungerichtete Suchverhalten, auch als ungerichtetes Appetenzverhalten bezeichnet. Hierbei nimmt der Hund noch mit allen zur Verfügung stehenden Sinnen die Umwelt wahr und sucht nach Geruch, Bewegungsreiz oder Geräusch, die ihn zu einer möglichen Beute ­führen könnten. Kommt es dann in der Umwelt zu einem die Beute ankündi­genden Sinnesreiz, so erfolgt die kurze, vom Hundehalter oft gar nicht bemerkte ausrichtende Verhaltensreaktion, als sog. Taxiskomponente (= orientierende Reaktion) bezeichnet. Hierbei richtet sich der Hund mit Blick und Körperachse auf die Quelle des Geräusches oder des Geruches aus und die nachfolgende Handlung der gerichteten Annäherung oder ge­richteten Appetenz beginnt.

Hat der Hundehalter jetzt nicht erkannt, um was es geht, und einen zuverlässigen Abbruch gesetzt, so ist alles weitere nahezu nicht mehr zu stoppen. Einer sich aufbauenden Lawine gleich läuft nun die Ver­haltenskette weiter ab. Auf die gerichtete Annäherung erfolgt dann schließlich eine erneute Taxis (also Orientierungsreaktion), ein Ausrichten vor dem Zupacken. Danach erfolgt das Zupacken, gegebenenfalls auch das Totschütteln und anschließend das Fressen. Selbst bei Hunden, bei denen durch einen guten Ernährungszustand das Packen, Töten und Fressen nicht ausgeprägt sind, wird die vorangehende Verhaltenskette immer mehr von den zur Verfügung stehenden Außenreizen gesteuert.

Zunehmende Dominanz äußerer Reize

Man kann geradezu von einer um­gekehrten Verantwortung zwischen äußeren und inneren Verursachungen im Laufe der Verhaltenskette sprechen. Während zu Beginn die innere Handlungsbereitschaft beim Suchverhalten noch sehr hoch ist (die Hunde suchen auch dann nach Hinweisen auf Beutetiere, wenn sie keinerlei konkreten Anlass für die Suche haben), übernimmt im ­Laufe der Verhaltenskette immer mehr die Anwesenheit äußerer Reize die wichtige Steuerungsfunktion. Suchen wird noch ohne konkrete auslösende Situation gestartet, das Zupacken und Totbeißen im Leerlauf ohne ­auslösende Situation dagegen finden wir kaum. Ähnlich ist es mit der Ermüdung der jeweiligen Verhaltensreaktionen.

Während die anfänglichen ­Stadien der Verhaltenskette noch sehr schwer ermüden und bei Fehlschlägen oder erfolgloser Bemühung erneut gestartet werden, gilt dies für die späteren Stadien der Verhaltenskette immer weniger. Evolutiv ist das auch zu verstehen, denn der Beginn des Nahrungssuchens kann sehr viel häufiger erfolglos bleiben, während die letzten Stadien der Verhaltenskette fast immer von Erfolg gekrönt sein dürften, sobald der auslösende Reiz erst mal in unmittelbare Reichweite der Schnauze und der Zähne gekommen ist.

Aus diesen Gegebenheiten, aus den unterschiedlichen Verteilungen innerer und äußerer auslösender Faktoren, der unterschiedlichen Ermüdbarkeit und den unterschiedlichen beteiligten Sinnesorganen lässt sich dann auch schlussfolgern, dass es einen einheitlichen Jagdtrieb nicht gibt. Bestenfalls gäbe es für die sieben verschiedenen Elemente der Beutefangkette sieben verschiedene, unabhängig voneinander agierende innere Handlungsbereitschaften. Aber selbst das gilt eben bestenfalls für den Beginn der Handlungskette, während die späteren Stadien nahezu ausschließlich durch äußere Reize und nicht von innen ­kontrolliert werden. Eine zusammenfassende Übersicht über die Sequenzen des Jagdverhaltens siehe Kasten auf Seite 16.

Lösungen des Problems

Je nach Rasse, deren Arbeitsgeschichte in der Domestikation und der ­Persönlichkeit des individuellen ­Hundes muss der Hundehalter versuchen, den allgegenwärtigen Funktionskreis des Nahrungserwerbs und des Beutefangverhaltens durch das Prinzip der funktionellen Substitution zu bedienen. Dies wird übrigens häufig in der Zootierhaltung angewendet. Man bietet dem Tier Ersatzreize, mit denen möglichst viele der zu diesem Funktionskreis gehörigen Verhaltensweisen gesellschaftsverträglich ausgeführt werden können.

Ein Hund, der bei Fährtenarbeit, Zielobjektsuche oder anderer Nasenarbeit eine Spur aufnimmt, bedient den Funktionskreis des Beutefangverhaltens genauso wie einer, der durch richtiges und kompetent ausgeführtes Apportieren ausgelastet wird. Wegen der geschilderten ­Zusammenhänge, wonach die späteren Stadien des Beutefangs überwiegend durch Außenreize gesteuert werden, ist es auch für den Hund keine unzumutbare Belastung, wenn er durch Ersatz­objekte und Ersatzhandlungen die Verhaltensweisen dieses Funktionskreises ausführen kann. Über eines muss sich der Hundehalter jedoch im Klaren sein: wenn der ­Apportierbeutel direkt neben dem Hasen landet und der Hase durchstartet, hält kein Apportierbeutel der Welt den jagdlich motivierten Hund von einer Verfolgung des Hasen ab. Das verhaltensbiologische Prinzip der ­Reizsummenregel besagt ­nämlich, dass, je näher eine auslösende Situa­tion den natürlichen Bedingungen kommt, desto größer die Wahr­scheinlichkeit ist, dass sie als Aus­löser auch wirksam wird. Selbst ein Apportierbeutel mit frischen Hasenohren kann also keineswegs den davon rennenden Hasen mit all seinen Gerüchen, Bewegungsreizen und eventuell auch seiner Lautgebung ersetzen.

Und ein zweiter Trost sei den ­frustriert ihrem Hund hinterher ­pfeifenden und rufenden Menschen noch mit auf den Weg gegeben: Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihr Hund Sie in diesem Moment nicht hört, entspricht dies wahrscheinlich auch den Tat­sachen. Sobald ein Beutegreifer in das Stadium der gerichteten Annäherung übergeht, werden alle anderen ­Sinnesorgane und deren ­Reizeingänge ausgeblendet, und der Hund hat gewissermaßen einen Tunnelblick nur noch auf die gerade eben identifizierte auslösende Situation.

Rechtzeitig eingreifen

Mit mangelnder Bindung an den Menschen hat das entgegen immer wieder gehörten Aussagen nichts zu tun; vielmehr nur mit der Tatsache, dass im Gegensatz zum Sozialverhalten das Jagdverhalten eben in einer nahezu reflexähnlich ablaufenden, fest im Verhalten eingegrabenen, sich selbst bestätigenden Handlungskette abläuft. Jedes Element dieser Handlungskette bedingt das nachfolgende, sodass das Bild einer Lawine durchaus den Gegebenheiten entspricht. Und so wie man Lawinenzäune am oberen Teil des Hanges aufstellt und nicht unten kurz vor dem zu schützenden Einsiedlerbauernhaus, so muss auch der Hundehalter in den ersten Stadien der Beutefangkette eingreifen und dem Hund durch klare Abbrüche mitteilen, dass dies unerwünscht ist, bevor die Lawine ins Rollen und der Hund ins Rennen kommt. Denn nur dann haben Mensch und Hase eventuell noch eine Chance.

Hintergrund

Gehirn & Botenstoffe: Unterschiedliche Steuerung von Jagdverhalten und Aggression

 

Beim Jagdverhalten sind andere Gehirnabschnitte beteiligt als bei Aggression, wodurch diese beiden Verhaltensbereiche unterschiedlich gesteuert werden. Dementsprechend unterschiedlich müssen auch die Ansätze sein, diese Verhaltensfunktionskreise zu beeinflussen.

 

Aggression, egal ob Selbstverteidigung, Status, Futter oder Partnerschutz die Ursache ist, wird durch das enge Zusammenspiel von zwei Bestandteilen des Emotionsgehirns (= limbisches System) gesteuert: Dem Mandelkern (Amygdala) und dem Hypothalamus zusammen mit dem Stirnbereich der Großhirnrinde (frontaler Cortex). Daher sind hier fast immer Emotionen (Wut, Angst, Schmerz etc) im Spiel. Die beteiligten Botenstoffe entstammen ebenfalls den Stresssystemen, z.B. Vasopressin, Noradrenalin, Cortisol etc.

Jagdverhalten dagegen wird durch ein anderes ­Botenstoffystem (als cholinerges System bezeichnet) gesteuert. Beteiligte ­Hirnregionen sind seitliche Bereiche des Zwi-schen­hirns (lateraler Hypothalamus und Thalamus) sowie der Hirnstamm. Emotionen spielen ­primär keine Rolle. Lediglich se­kundär können durch das Hetzen und lange Rennen die gleichen körpereigenen Aufputschsysteme aktiviert werden wie bei einem menschlichen ­Marathonläufer.

Sequenzen des Jagdverhaltens

Die Abfolge des Jagd- und Beutefangverhaltens bei Hunden, Wölfen und anderen größeren Beutegreifern besteht aus einer Reihe von (sieben) Verhaltenselementen bzw. Sequenzen, die jeweils durch eine ihnen spezifische Kombination aus Außenreizen und innerer Handlungsbereitschaft gestartet werden.

1. Suchverhalten

2. Reizausrichtung (Taxis)

3. Annähern

4. Anschleichen

5. Zupacken und Festhalten

6. Töten

7. Fressen

 

Die erste Phase, das sog. ungerichtete Such- oder Appentenzverhalten, aktiviert noch alle Sinne. Der Hund ist für Düfte, Geräusche und Bewegungen gleichermaßen offen, und diese Phase ist auch noch stark durch innere Faktoren gesteuert. Findet er eine interessante Spur, sieht er z.B. den Hasen, dann folgt als zweite Phase das Ausrichten auf diesen Reiz, in der Fachsprache Taxis genannt. Danach folgt das gerichtete Appentenzverhalten, also das Annähern und Anschleichen, gefolgt vom Zupacken/Festhalten, Töten und Fressen.

Bei Beutefang dominieren Aussenreize

Je weiter der Hund in die Beutefangkette hineinkommt, desto weniger wird er von innen, desto mehr durch Außenreize gesteuert. Wie bei einer Lawine bauen sich die Handlungsbereitschaften auf, d.h. es fällt dem Hund immer schwerer, jetzt noch abzubrechen. Zudem werden Sinneseindrücke, die nicht unmittelbar mit dem derzeit aktivierten Verhalten zu tun haben, ausgefiltert. Der Hund, der hinter dem Hasen herläuft (gerichtetes Appetenzverhalten), hört also weder den rufenden Halter noch sieht er das heranbrausende Auto …